Auf tönernen Füßen

Schleswig-Holstein glaubt nicht an die Überlebenschance des neuen Glücksspielstaatsvertrages – Pressestimmen folgen der Argumentation von Arp und Kubicki

+++ von Ansgar Lange +++ Kiel, April 2011 – Im hohen Norden versteht man etwas vom Deichbau. Die Menschen dort sind sturmerprobt und wissen, dass manchmal schon eine leichte Brise ausreicht, um unzureichende Befestigungsanlagen wie ein Kartenhaus zusammenbrechen zu lassen. Die christlich-liberale Landesregierung von Schleswig-Holstein mag an dieses Bild gedacht haben, als sie als einziges Bundesland gegen den am Mittwoch verabschiedeten Entwurf für einen neuen Glücksspielsstaatsvertrag stimmte. Ein Kommentar im „Flensburger Tageblatt“ http://www.shz.de bringt die Lage auf den Punkt: „Was die Bundesländer beim Berliner Politpoker ausgewürfelt haben, wird vor dem Europäischen Gerichtshof mit großer Wahrscheinlichkeit keine Gnade finden. Sieben Anbieter von Sportwetten sollen eine Lizenz erhalten. Und der Achte? Der wird gegen diese Deckelung in Brüssel klagen und sich auf den Diskriminierungsschutz berufen können. Wieder einmal sind die Ministerpräsidenten zu kurz gesprungen.“

Ähnlich vernichtend fällt der Kommentar in der Financial Times Deutschland (FTD) http://www.ftd.de aus. Die Bundesländer verstünden sich zwar gern als Bollwerk gegen die Spielsucht. Daran gemessen offenbarten sie sich selbst aber als „ziemlich abgefeimte Zocker“. Ein genauerer Blick in die geplante Neuordnung des Glücksspielsstaatsvertrages offenbare schnell, dass die angebliche Reform nur die Kläger gegen das staatliche Wettmonopol beruhigen solle. Im Prinzip solle aber alles beim Altern bleiben: „Diesen Bluff sollte man schnell auffliegen lassen“. Nach Analyse der FTD sind die geplanten Bedingungen für Anbieter zu hart, als dass sie irgendetwas an der jetzigen Marktlage verändern dürften. Branchenkenner halten die Begrenzung der Lizenzen auf sieben für willkürlich. Warum sollte es nicht fünf, acht, zehn oder noch mehr geben?

Ein Sprichwort besagt: Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Genau nach diesem Prinzip haben bei der Sonderkonferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder in Berlin am 6. April 2011 alle gehandelt – außer der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Doch auch in Sachsen und Hessen, so Insider, dürfte man das erzielte Ergebnis mit einigem Baugrimmen zur Kenntnis nehmen. Ein Sechstel des Umsatzes will der Staat nach den jetzt getroffenen Verabredungen pauschal als Wettabgabe kassieren. Von dem, was übrig bleibt, dürften legale Unternehmen kaum Gewinnsummen anbieten könne, die mit denen der Internetkonkurrenz mithalten können, meint die FTD. Dies ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Kein einziger Anbieter von Wetten dürfte es in Zukunft als besonders verlockend empfinden, ausgerechnet in Deutschland seine Zelte aufzuschlagen.

Dass dieser doch recht faule Kompromiss, der eher einer Kungelei gleichkommt, keinen Bestand haben dürfte, macht die Reaktion aus Kiel deutlich. „Ministerpräsident Carstensen hat Recht. Eine Beschränkung der Konzessionen auf sieben wäre europarechtlich nicht haltbar. Diesem Vertrag können wir nicht zustimmen“, erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Christian von Boetticher. FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki ergänzte: „Niemand kann rechtlich sauber begründen, weshalb dem achten Anbieter der Zugang zum Markt zu verwehren ist. Die Klagen gegen die Diskriminierung wären ebenso absehbar wie das Ergebnis vor dem Europäischen Gerichtshof. Wir haben uns schon einmal eine schallende Ohrfeige abgeholt. Nochmal machen wir das nicht mit. Dann regeln wir das lieber alleine“. Insgesamt sei das Verhandlungsergebnis ein Schritt in die richtige Richtung, aber eben nicht mehr. „Allerdings handelt es sich lediglich um Eckpunkte. Viele Details, zum Beispiel die Begründung des Lotteriemonopols, werden noch nicht angesprochen. Deshalb ist noch viel Arbeit zu leisten“, so CDU-Fraktionsvize Hans-Jörn Arp.

Keine Frage: Die Parlamentarier haben wenig Lust darauf, wieder eine juristische Klatsche aus Luxemburg zu kassieren. Bleibt Kiel bei seiner harten, aber juristisch einwandfreien Haltung, dann könnten Wettanbieter sich gezielt im Norden eine Lizenz zu besseren Konditionen besorgen und die Regelungen der übrigen 15 Länder unterlaufen. Die Fraktionschefs von Union und FDP aus Schleswig-Holstein betonten in ihrer ersten Reaktion auf die Berliner Einigung jedenfalls, man halte die zweite Lesung des in den Kieler Landtag eingebrachten entsprechenden Gesetzentwurfes noch vor der Sommerpause für denkbar.

Neben den juristischen sprechen auch ökonomische Argumente gegen die geplante Regelung. Die Kieler Regierungsfraktionen sprechen der Höhe der Konzessionsabgabe die internationale Wettbewerbsfähigkeit ab. Dies zeigten Beispiele aus europäischen Nachbarländern. Frankreich habe 2009 den Glücksspielmarkt liberalisiert, konnte jedoch mit einer Steuer von 7,5 Prozent auf den Spieleinsatz nur rund 20 Prozent des Grau- und Schwarzmarktes kontrollieren. Ein Abgabensatz von über 16 Prozent auf die Einsätze bei den Sportwetten nimmt den Anbietern direkt die Luft zum Atmen. Wettbewerbsfähige Produkte könnten unter diesen Bedingungen nicht angeboten werden.

Die Ministerpräsidenten sind jetzt eindeutig zu kurz gesprungen. Falls sie alle Einwände in den Wind schlagen, werden sie spätestens in Luxemburg erneut scheitern. Ob sie in den nächsten Monaten noch den Mut finden werden, den ganz großen Wurf zu wagen, muss mit einem Fragezeichen versehen werden. Der schleswig-holsteinische Gesetzentwurf würde jedenfalls den Weg weisen, wie man Recht und Gesetz und wirtschaftliche Vernunft unter einen Hut bringen kann.
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