Verfassungsgerichtshof erkennt über Lockerungsverordnung

Zwei zentrale Bestimmungen der Verordnung des BMSGPK betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden (im Folgenden kurz die „Codiv-19-Lockerungsverordnung“) wurden vom österreichischen Verfassungsverichtshof als gesetzwidrig aufgehoben:

1. Verbot von Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen gesetzwidrig (Vfgh 1.10.2020, V 428/2020)

Diesem Erkenntnis des VfGH lag ein Antrag zweier Discobetreiber zugrunde, die sich durch §§ 6 und 10 der Codiv-19-Lockerungsverordnung in ihrem Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung, und in ihrem Eigentumsrecht verletzt fühlten. Zudem brachten sie vor, dass diese Bestimmungen auch gegen den Gleichheitsgrundsatz verstießen.

§ 10 Abs 2 der Codiv-19-Lockerungsverordnung definierte Veranstaltungen, die, wenn sie mehr von mehr als 10 Personen besucht werden, untersagt sind. Da diese Definition aber nicht abschließend ist, zählen auch Veranstaltungen in einer Diskothek oder Bar dazu. Die Antragssteller behaupteten, nicht von einer Ausnahme in § 10 Abs 5 der COVID-19-Lockerungsverordnung umfasst zu sein, daher seien sie von dem Verbot unmittelbar in ihrer Rechtssphäre betroffen. Da sich ein Diskothekenbetrieb mit unter 10 Personen nicht gewinnbringend führen ließen, kämen diese Einschränkung einem vollständigen Betriebsverbot gleich.

Die Antragssteller behaupteten zudem, es läge ein Verstoß gegen § 15 Epidemiegesetz 1950 vor, da in diesem weder eine Verordnungsermächtigung enthalte noch eine Beschränkung auf 10 Personen erlaube.

Zu diesem Vorbringen stellte der Vfgh fest, dass § 15 Epidemiegesetz 1950 auch eine Verordnungsermächtigung enthalte. Er verweist aber dabei auf § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz und unterstellt § 15 Epidemiegesetz dieselben Anforderungen wie § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz. Daher prüfte er, ob bei dieser Bestimmung die Dokumentationspflicht erfüllt hat und kam zu dem Ergebnis, dass jegliche Entscheidungsgrundlagen und Unterlagen im Verordnungsakt fehlen. Gleichzeitig wiegt der Eingriff in die Grundrechtsphäre sowohl für den Besuche als auch den Veranstalter sehr. Aus diesem Grund stellte der Vfgh die Gesetzwidrigkeit des § 10 der Codiv-19-Lockerungsverordnung fest, da er gegen § 1 COVID-19 Maßnahmengesetz verstößt.

2. Maskenpflicht an öffentlichen Orten in geschlossenen Räumen gesetzwidrig (Vfgh 1.10.2020, G 271/2020)

Der Antragssteller, ein Rechtsanwalt, brachte einen Individualantrag beim VfGH ein, da er durch die Codiv-19-Lockerungsverordnung, die ihn zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung verpflichte, in seinen Grundrechten verletzt sei.

Er brachte vor, durch die Codiv-19-Lockerungsverordnung beim Betreten sämtlicher öffentlicher Orte (Behörden und Gerichtsgebäude, sowie zB beim Einkaufen) diesen Mund-Nasen-Schutz tragen zu müssen. Des Weiteren sei durch die Maßnahmen auch der Kindergartenbetrieb seiner Tochter eingeschränkt worden, sodass seine Tochter nur eingeschränkt betreut werden konnten, mit der Folge, dass das Kind durch die veränderten Umstände im Kindergarten (kein Spielen mit Körperkontakt, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes bei den Kindergärtnerinnen) eine psychische Beeinträchtigung erleideund seine Frau schließlich auf „Homeoffice“ ausweichen müsse. Außerdem sei seine persönliche und berufliche Mobilität eingeschränkt, da er viele Orte, an denen er sich in der Freizeit gerne aufhielt oder die er zu beruflichen Zwecken aufsuchten musste, überhaupt nicht mehr bzw nur unter gewissen Einschränkungen betreten könne. Dadurch wirke sich das auch auf seine Gesundheit aus, da es eine massive Einschränkung der sportlichen Betätigung bedeute. Vor allem werde aber laut dem Antragssteller die persönliche Freiheit der Selbstbestimmung und seine Religionsfreiheit verletzt, da er sich nicht mehr so kleiden könne, wie er wolle und es nach den COVID-19 Maßnahmen es nicht möglich sein, mit Gleichgläubigen eine Messe nach alevitischem Glauben abzuhalten.

Der Vfgh erachtete diesen Antrag aufgrund dieser aktuellen Betroffenheit und den Eingriff in seine Rechtsphäre als zulässig. Lediglich den Antrag auf Überprüfung der Codiv-19-Lockerungsverordnung, die zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in Massenbeförderungsmittel verpflichtet, wies der Vfgh zurück, da der Antragssteller nicht vorbrachte, diese Massenbeförderungsmittel zu benutzen. Daher sei er durch die Codiv-19-Lockerungsverordnung nicht unmittelbar betroffen.

Der Vfgh sprach aus, dass der Gesetzgeber zulässigerweise dem BMSGPK Spielraum überlassen hat, welche Maßnahmen er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 als notwendig erachtet; dies können auch erhebliche Grundrechtsbeschränkungen sein. Jedoch ist für die Nachvollziehbarkeit und der Überprüfung von Verordnungen die Darlegung aller Umstände, die den BMSGPK zur Verordnungserlassung verleiten, notwendig. Zu den angefochtenen Bestimmungen finden sich bis auf zwei Entwürfe der COVID-19-Lockerungsverordnung keine Unterlagen. Daher erfüllt diese Bestimmung die Vorgaben des § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz nicht und wurde vom Vfgh als gesetzwidrig festgestellt.

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